Stress und Entspannung werden häufig mit dem Schwanger werden in Verbindung gebracht. Viele werden angeblich in dem Moment schwanger, wenn der Stress wegfällt und sie sich entspannen: Sei es, wenn sie Urlaub machen und es nicht darauf anlegen, schwanger zu werden. Oder wenn sie beginnen, sich mit einer Adoption als alternativer Perspektive zum leiblichen Kind zu beschäftigen. Besonders in Blogartikeln und in den sozialen Medien wird oft von alternativen Behandlungsmethoden oder dem Einfluss des eigenen Verhaltens auf die Schwangerschaftswahrscheinlichkeit gesprochen. Doch wie viel Wahrheit steckt in diesen Aussagen? In diesem Artikel werden bestimmte Faktoren beleuchtet, die immer wieder mit der Schwangerschaftswahrscheinlichkeit in Verbindung gebracht werden.
- Verhindert mein Stresslevel, dass ich schwanger werde?
- Helfen mir Nahrungsergänzungsmittel dabei, schneller schwanger zu werden?
- „Viele Paare werden dann schwanger, wenn sie es nicht mehr bewusst versuchen oder über eine Adoption nachdenken“ – Stimmt das?
Verhindert mein Stresslevel, dass ich schwanger werde?
Verständlicherweise wünschen sich viele Betroffene, selbst etwas dafür tun zu können, um möglichst schnell schwanger zu werden. Häufig hören sie Sätze wie „Du musst dich nur entspannen, dann wirst Du bestimmt schwanger“. Es wird also ein Zusammenhang zwischen dem eigenen Stresslevel und einer Schwangerschaft hergestellt. Doch in aktuellen Studien wurde bisher kein Zusammenhang zwischen dem Stresslevel der Frau (oder des Mannes) vor dem Behandlungsbeginn und einer möglicherweise eintretenden Schwangerschaft gefunden. Das eigene Stresslevel hat also keinen direkten Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft. Sie müssen also nicht besonders entspannt sein, um schwanger werden zu können.
Auch wenn Stress keinen direkten Einfluss auf die Schwangerschaftswahrscheinlichkeit hat, so führt Stress immer wieder dazu, dass Paare eine Kinderwunschbehandlung schon vor einer Schwangerschaft abbrechen: Weil sie so gestresst sind, trauen sie sich keinen weiteren Versuch zu oder schaffen es nicht, die Behandlung richtig und optimal umzusetzen. Das könnte beispielsweise der Fall sein, wenn Betroffene vor lauter Stress keine Lust auf Sex zum optimalen Zeitpunkt im Zyklus haben. Oder wenn sie so angestrengt sind, dass sie keine Kraft für die Termine im Kinderwunschzentrum aufbringen können. Somit kann sich Stress indirekt auf das Ergebnis der Kinderwunschbehandlung auswirken. Der Stress, den Sie vielleicht empfinden, ist nicht schuld daran, wenn Sie nicht schwanger werden. Vielmehr ist es so, dass der Stress die Durchführung der Kinderwunschbehandlung schwieriger macht.
Entspannung ist zwar keine Voraussetzung für eine Schwangerschaft. Trotzdem kann es sinnvoll sein, eine Möglichkeit zur Entspannung zu finden, die Ihnen guttut. Gerade, weil die Kinderwunschzeit von vielen oft als belastend empfunden wird, ist es hilfreich, gut für sich zu sorgen. Dafür können Entspannungsmethoden durchaus sinnvoll sein. So kann der indirekten Wirkung von Stress auf die Kinderwunschbehandlung vorgebeugt werden.
Für manche ist es Yoga, für andere ein Spaziergang im Wald oder auch die Fahrt mit dem Fahrrad zur Arbeit. Entspannung muss aber nicht zwangsläufig mit Ruhe, Konzentration oder sportlicher Betätigung zu tun haben: Vielmehr geht es um darum, loszulassen und im aktuellen Moment präsent zu sein. Es gibt leider nicht die eine Entspannungsübung oder -methode, die für alle funktioniert. Auch Videospiele, Heavy Metal hören oder Serien schauen kann Entspannung sein. Entscheidend ist, wie Sie sich währenddessen und hinterher fühlen. Wenn das so wäre, dass es Entspannungsmethoden gäbe, die wissenschaftlich belegt auf die Schwangerschaftswahrscheinlichkeit wirken, dann würden diese bereits zum alltäglichen Repertoire der Kinderwunschbehandlung gehören.
Helfen mir Nahrungsergänzungsmittel dabei, schneller schwanger zu werden?
Auch um verschiedene Nahrungsergänzungsmittel ranken sich viele Mythen. Es gibt viele Rezepturen und Zusammenstellungen von Nahrungsergänzungsmitteln, die helfen sollen, schneller schwanger zu werden. Durch bestimmte Nahrungsergänzungsmittel sollen sowohl die Quantität als auch die Qualität der Eizellen und Spermien verbessert werden. Oder der Zyklus und seine Hormone sollen positiv beeinflusst werden.
Aus wissenschaftlicher Sicht ist diese Wirkweise der Nahrungsergänzungsmittel nicht so einfach festzustellen. Denn es ist angeboren, wie viele Eizellen in den Eierstöcken angelegt sind. Durch Nährstoffe kann dies nicht verbessert werden. Zwar werden Spermien etwa alle drei Monate neu gebildet, jedoch gibt es trotzdem keine wissenschaftlich basierten und allgemein gültigen Empfehlungen zu Mikronährstoffen für Männer.
In der medizinischen Leitlinie für Kinderwunschbehandlungen wird lediglich die Einnahme von Folsäure empfohlen. Diese beeinflusst jedoch nicht die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, sondern ist für die Entwicklung des Embryos wichtig. Darüber hinaus wird in der Leitlinie angegeben, dass Vitamin D eingenommen werden kann. Das bedeutet, dass Vitamin D helfen kann und bei entsprechender Dosierung nicht schädlich ist, eine Wirksamkeit jedoch nicht eindeutig belegt ist. Dass nur diese beiden Nährstoffe explizit genannt werden, heißt nicht, dass weitere Nährstoffe wirkungslos sein müssen. Das heißt für Sie im individuellen Fall, dass sie bei Nahrungsergänzungsmitteln selbst entscheiden können, was sie probieren möchten. Wichtig ist dabei, dass sie sich von Anbietern kein schlechtes Gewissen einreden lassen und dass sie wissen, dass die Wirkungsversprechen nicht abschließend wissenschaftlich belegt sind. In diesem Prozess ist der Arzt/die Ärztin eine gute Anlaufstelle, also fragen Sie nach. Insbesondere da Nährstoffe auch überdosiert werden können, sollten Sie die Einnahme protokollieren und mit Ihrem behandelnden Arzt/Ihrer behandelnden Ärztin absprechen. Der negative Einfluss bestimmter Genussmittel (wie z. B. Nikotin oder zu viel Koffein) ist hingegen belegt.
„Viele Paare werden dann schwanger, wenn sie es nicht mehr bewusst versuchen oder über eine Adoption nachdenken“ – Stimmt das?
Diese Sätze haben bestimmt schon viele Betroffene gehört und vielleicht haben Sie es auch schon mal selbst gedacht: Dass die Schwangerschaft genau dann eintritt, wenn nicht mehr bewusst versucht wird, schwanger zu werden. Oder wenn das Paar damit beginnt, über eine Adoption als alternative Perspektive zur Kinderwunschbehandlung nachzudenken. Der Mythos, dass sich die eigenen Gedanken auf die Schwangerschaft auswirken können, hält sich hartnäckig in den Köpfen. Die Idee, durch die eigenen Gedanken zur Schwangerschaft beitragen zu können, kann ein Gefühl der Kontrollierbarkeit vermitteln. Besonders in der unsicheren Situation eines unerfüllten Kinderwunsches tut ein Gefühl der Sicherheit und Kontrolle gut. Jedoch gibt es keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass die Gedanken beeinflussen, ob man schwanger wird oder nicht. Daher möchte ich Ihnen hier den Druck nehmen: Ihre Gedanken haben keinen direkten Einfluss auf die Schwangerschaftswahrscheinlichkeit, die „innere Blockade“ gibt es nicht!
Häufig setzen sich Betroffene selbst unter Druck, positiv denken zu müssen. Sie geben ihren negativen Gedanken und Gefühlen die Schuld für ein negatives Ergebnis. Gedanken lassen sich jedoch nicht immer steuern: Manchmal sind sie positiv, manchmal negativ – das ist normal. Auch hier gilt, dass unsere Gedanken das Ergebnis nicht verändern können. Negative Gedanken helfen uns nicht, besser mit negativen Ergebnissen zurechtzukommen und positive Gedanken können uns keine positiven Ergebnisse bescheren. Sie müssen Ihre Gedanken nicht kontrollieren, um schneller oder überhaupt schwanger zu werden (oder zu bleiben). In der Kinderwunschzeit, die oft von Betroffenen als „Achterbahnfahrt der Gefühle“ beschrieben wird, kommen auch negative Gefühle und Gedanken vor – wie auch in anderen Lebensabschnitten. Gerade unsere negativen Gefühle sind hilfreich, da sie uns anzeigen, dass wir auf uns achten sollen. Sie können in sich hineinhorchen: Was tut Ihnen gerade gut? Was können Sie tun, um sich wieder besser zu fühlen? Was gibt Trost oder Ermutigung, oder sind Sie vielleicht einfach sehr angestrengt und brauchen Regeneration? Gefühle, auch negative Gefühle sind ein Navigationssystem für Ihre Bedürfnisse.
Wie ich bereits beschrieben habe, hat der Wegfall von Stress beziehungsweise eine dann eintretende Entspannung bei einer Adoption keinen Einfluss auf die Schwangerschaftswahrscheinlichkeit. Wie kommt es dann, dass häufig genau von diesen Schwangerschaften nach oder während einer Adoption berichtet wird? Das liegt daran, dass in den Medien über die wenigen Ausnahmen einer Spontanschwangerschaft nach einer Adoption viel häufiger berichtet wird. Es kommt allerdings nur in drei bis vier Prozent der Fälle nach einer Adoption zu einer Spontanschwangerschaft. Diese Spontanschwangerschaften wären auch ohne die Adoption entstanden. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass in 96 bis 97 Prozent der Fälle keine Schwangerschaft nach einer Adoption entsteht – auch wenn in diesen Fällen ebenso der Kinderwunsch-Stress wegfällt und die Paare nicht mehr aktiv versuchen, schwanger zu werden. Über diese Fälle wird jedoch nicht medial berichtet. So entsteht der Eindruck, dass Schwangerschaften nach Adoptionen viel häufiger vorkommen, als es wirklich zutrifft. Die wenigen Ausnahmen verzerren unsere Wahrnehmung und tragen zum Mythos bei, dass die Schwangerschaftswahrscheinlichkeit durch die eigenen Gedanken sowie durch das eigene Stresslevel beeinflusst werden kann.
- Stress hat keinen direkten Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden. Jedoch kann Stress dazu führen, dass eine Kinderwunschbehandlung abgebrochen wird und sich somit indirekt auswirken. Entspannung kann dabei helfen, die Kinderwunschbehandlung gestärkt durchzustehen; sie ist aber keine Voraussetzung, um schwanger zu werden.
- Es gibt keine generelle Empfehlung für Nahrungsergänzungsmittel, die während der Kinderwunschzeit eingenommen werden sollten. Die Schwangerschaftswahrscheinlichkeit kann dadurch nicht gesteigert werden. Folsäure ist nur wichtig für den Ablauf der Schwangerschaft und das Depot soll schon vorher aufgefüllt sein.
- Ihre Gedanken haben keinen Einfluss darauf, ob Sie schwanger werden oder nicht. Deswegen müssen Sie Ihre Gedanken nicht kontrollieren, um schwanger zu werden. Auch negative Gedanken und Gefühle gehören zur Kinderwunschzeit dazu und es ist hilfreich, einen guten Umgang mit ihnen zu finden.
In der herausfordernden und unkontrollierbaren Zeit des Kinderwunsches wünschen sich Betroffene häufig, selbst etwas tun zu können, um schwanger zu werden. Mit einer Kinderwunschbehandlung tun Sie genau das, was aus medizinischer und wissenschaftlicher Sicht am hilfreichsten ist, um schwanger zu werden. Weder Ihr Stress noch Ihre Gedanken sind schuld daran, wenn Sie nicht schwanger werden. Besonders während der Kinderwunschbehandlung ist es also sinnvoll, gut für sich zu sorgen und sich nicht unnötig schuldig zu fühlen. Dabei kann es helfen, die Mythen und Geschichten rund um die Schwangerschaft kritisch zu hinterfragen.
Quellen: Leitlinie: Diagnostik und Therapie vor einer assistierten reproduktionsmedizinischen Behandlung (ART)
Psychosomatisch orientierte Diagnostik und Therapie bei Fertilitätsstörungen (AWMF Leitlinie
Autorin: Sally Schulze
Sally Schulze ist Diplom-Psychologin, approbierte Psychotherapeutin und zertifizierte BKiD-Kinderwunschberaterin.