Geschwisterkinderwunsch – schwerer, leichter oder auf seine Art besonders?

Ein unerfüllter Kinderwunsch ist nicht nur beim ersten Kind ein Thema. Es gibt viele Betroffene, die nach dem ersten Kind einen starken Wunsch nach einem weiteren Kind haben und sich darum sorgen, dass sich dieser nicht erfüllen könnte. In diesen Fällen kommen oft besondere Zweifel darüber auf, ob der Wunsch nach dem Geschwisterkind die gleiche Berechtigung hat wie der Wunsch nach einem ersten Kind. Drei zentrale Fragen, die viele Personen mit Geschwisterkinderwunsch sich stellen, werden in diesem Artikel besprochen:

  • Ist mein Geschwisterkinderwunsch überhaupt berechtigt?
  • Wie reagiere ich, wenn mir jemand sagt, ich soll doch zufrieden sein, weil ich schon ein Kind habe?
  • Braucht mein Kind ein Geschwisterkind, damit es ihm gut geht?

Ist mein Geschwisterkinderwunsch überhaupt berechtigt?

Eltern, die bereits ein Kind haben, fragen sich manchmal, ob der Wunsch nach einem Geschwisterkind die gleiche Berechtigung hat wie der Wunsch nach dem ersten Kind. Sie sind beispielsweise verunsichert, ob sie die gleichen Kinderwunsch-Angebote in Anspruch nehmen können oder ob sie sich mit ihrer aktuellen Situation “einfach abfinden” sollten.

Hierzu sei zuerst gesagt: Der Wunsch nach einem Geschwisterkind hat die gleiche Berechtigung und den gleichen Wert wie der Wunsch nach dem ersten Kind! Es gibt auch Eltern, die sich sehnlich ein drittes oder viertes Kind wünschen und diesen Wunsch ebenso intensiv erleben wie Familien ohne Kind. Sie empfinden dieselbe Spannung, während sie auf eine Schwangerschaft warten und erleben ebenso Trauer, wenn es nicht klappt. Als Erstes möchte ich daher verdeutlichen, dass der Geschwisterkinderwunsch eine Berechtigung hat und die Auseinandersetzung damit Raum und Zeit braucht. Die Kinderwunsch-Community ist bunt durchmischt und es finden sich darin verschiedenste Lebenssituationen, die alle mit ihren eigenen Möglichkeiten und Hindernissen ausgezeichnet sind.

Kind legt Ohr auf Bauch der schwangeren Mutter
© iStock/Jonathan Long

Selbstverständlich sind die Lebensperspektiven einer Familie ohne Kind anders als die einer Familie, die bereits Kinder hat. Allerdings lässt sich nicht sagen, ob eine der beiden Situationen leichter oder schwerer ist. Personen ohne Kind stehen beispielsweise andere Möglichkeiten der Lebensgestaltung offen, als Personen, die bereits ein Kind haben. Schließlich hat ein Kind Bedürfnisse, die das Leben der Eltern bereits auf bestimmte Weise prägen. Daraus ergeben sich entsprechend andere Wege und Entscheidungssituationen, die sich individuell unterscheiden. Es ist wichtig, hier sowohl die Gemeinsamkeiten als auch die Unterschiede der verschiedenen Lebenssituationen zu berücksichtigen. Letztendlich ist jeder Fall einzigartig. Und doch haben die verschiedensten Familien eines gemeinsam: Sie wünschen sich gerade ein Kind.

Wie reagiere ich, wenn mir jemand sagt, ich soll doch zufrieden sein, weil ich schon ein Kind habe?

Im Bekanntenkreis reagieren nicht immer alle einfühlsam auf den Geschwisterkinderwunsch. Manche Betroffenen hören zum Beispiel öfter den Satz: “Sei doch zufrieden mit dem, was du hast.” Diese Aufforderung mag gegebenenfalls gut gemeint sein, stellt aber eine gedankliche Abkürzung dar. Diese hilft den Betroffenen meistens nicht weiter. Egal aus welchem Grund es einem nicht gutgeht, die Aufforderung “Sei doch einfach zufrieden!” funktioniert meistens nicht. Solche Aussagen sind weder tröstend noch ermutigend. Außerdem wird dem Wunsch nach einem Geschwisterkind damit seine Berechtigung abgesprochen, was die Betroffenen noch trauriger machen kann. Auf solche Aussagen zu reagieren, ist nicht einfach. Oft macht es Sinn, sich vorher ein paar mögliche Antworten zu überlegen. Welche Antwort Sie geben, kann sich danach unterscheiden, wie nah Sie dem Gegenüber stehen und wie sehr Sie sich gerade öffnen möchten. Dafür eignet sich ein Ampel-System mit rotem, gelbem und grünem Licht– wie im Straßenverkehr.

Rotes-Licht-Antworten können Sie geben, wenn Sie das Gespräch am liebsten sofort beenden möchten. Eine mögliche Antwort kann dann sein: “Ah ja, gute Idee!” - Damit geben Sie keinen Einblick in Ihre Gefühlswelt und können schnell das Gesprächsthema wechseln. Allerdings kostet es auch viel Energie, die Fassade aufrechtzuerhalten. Eine andere Möglichkeit wäre auch: “Danke für den Vorschlag, das hilft mir leider nicht weiter und das finde ich auch nicht sehr einfühlsam.” Diese Antwort ist zwar konfrontativ, gibt aber klar zu verstehen, dass Sie solche Kommentare nicht hören möchten.

Eine Gelbes-Licht-Antwort wäre zum Beispiel: “Okay, ich weiß nicht, ob mir das hilft, aber ich denke mal darüber danach.” Auch mit dieser Aussage bewegen Sie sich vom Thema weg, gewähren aber ein bisschen mehr Einblick in das, was Sie eigentlich fühlen.

Eine Grünes-Licht-Antwort können Sie dann geben, wenn Sie Ihrem Gegenüber nahestehen und am liebsten ehrlich sein möchten. Sie könnten dann authentisch und interessiert nachfragen: “Okay, was glaubst Du denn, wie ich es angehen könnte, einfach zufrieden zu sein, wenn ich es gerade eigentlich nicht bin? Wie könnte mein Weg dahin aussehen?” Manchmal kann es sich lohnen, dann nochmal genau hinzuhören, ob in diesem Vorschlag nicht vielleicht doch etwas Wertvolles für Sie steckt. Vielleicht hat Ihr Gegenüber eigene Erfahrungen gemacht, die Ihnen weiterhelfen können.

Dieses Schema kann helfen in unerwarteten, schwierigen Situationen so zu reagieren, wie Sie es insgesamt angemessen finden. Leider wappnet es Sie aber nicht für alle möglichen Situationen und die Konfrontation bleibt natürlich auch weiterhin anstrengend.

Braucht mein Kind ein Geschwisterkind, damit es ihm gut geht?

Der Geschwisterkinderwunsch hat die Besonderheit, dass die Eltern bereits ein Kind haben. Deshalb bezieht sich der Wunsch der Eltern oft auf die Vorstellung, ihrem Kind mit einem Geschwisterkind eine glücklichere Kindheit bieten zu können. Viele Eltern stellen sich die Frage, ob ihr Kind ein Geschwisterkind braucht, damit es ihm gut geht.

Sicherlich können Geschwister viel voneinander lernen und das kann eine große Bereicherung sein. Ob das Geschwisterkind tatsächlich eine Bereicherung darstellt, hängt allerdings davon ab, wie die Beziehungen in der Familie gestaltet werden. So hängt es unter anderem von der Erziehung der Eltern ab ob Geschwister voneinander lernen. Beispielsweise können Geschwister nur lernen, aufeinander zu achten, wenn die Eltern das größere Geschwisterkind auch mal bremsen. Oder den Geschwistern fällt es leichter, miteinander zu teilen, wenn sie sich darauf verlassen können, dass die Eltern auf ihre Bedürfnisse gleichermaßen eingehen.  Daran zeigt sich, dass für das emotional gesunde Aufwachsen eines Kindes vor allem zugewandte Bezugspersonen wichtig sind. Auch ein Kind ohne Geschwister kann emotional gesund aufwachsen und dieselben Dinge lernen wie ein Kind mit Geschwistern. Bei einem Einzelkind können alternative Gelegenheiten zum Kontakt mit Gleichaltrigen geschaffen werden. Zum Beispiel kann es für ein Einzelkind schön sein, in der Nachbarschaft alltäglichen Kontakt zu anderen Kindern zu haben oder sich in einem Mannschaftsport als Teil einer Gruppe zu erleben. Auch so sind innige Beziehungen möglich, die die Kindheit prägen. Beispielsweise haben manche Kinder ganz besondere Bindungen zu ihren Kindergarten-Freunden und -Freundinnen, die sich später fast wie Geschwister anfühlen.

Zwei Kinder sitzen auf einem Skateboard auf der Straße
© iStock/Aleksandar Nakic

Ein Kind braucht nicht unbedingt ein Geschwisterkind, damit es ihm gut geht und es emotional gesund aufwachsen kann. Für die Entwicklung ist vor allem wichtig, dass die Eltern sich mit dem Kind beschäftigen und danach schauen, was das Kind braucht und wie diese Bedürfnisse erfüllt werden können. In dieser Hinsicht gibt es keinen Unterschied zwischen der Erziehung von Einzelkindern und Geschwistern.

  • Der Wunsch nach einem Geschwisterkind hat die gleiche Berechtigung wie der Wunsch nach dem ersten Kind – er geht ebenso mit intensiven Gefühlen einher und erfordert Zeit und Raum für die Auseinandersetzung, und ggf. für den Abschied davon.
  • Bei wenig einfühlsamen Kommentaren aus dem Bekanntenkreis empfiehlt sich ein System mit roter, gelber und grüner Ampel. Das kann Ihnen dabei helfen, sich auf verschiedene Gesprächssituationen vorzubereiten und abzuwägen, wie stark Sie sich Ihrem Gegenüber öffnen möchten.
  • Ihr Kind kann auch ohne Geschwister emotional gesund aufwachsen. Dafür sind nämlich vor allem zugewandte Bezugspersonen wichtig, die auf die Bedürfnisse Ihres Kindes achten.

Paare, die bereits ein Kind haben, denken auf ihrer Kinderwunschreise meist nicht nur an ihre eigenen Bedürfnisse, sondern auch an die ihres Kindes. Daraus ergeben sich noch einmal besondere Fragen und Entscheidungssituationen, die in der Kinderwunsch-Community oft weniger Aufmerksamkeit bekommen. Letztendlich ist jeder Kinderwunsch einzigartig und erfordert die Auseinandersetzung mit den individuellen Anliegen der Betroffenen. Wie in diesem Artikel sichtbar wird, überlagern sich dabei verschiedene Ebenen: die eigenen Sorgen, die Reaktionen des Umfelds und die Wünsche für das eigene Kind. Eine Kinderwunschberatung kann dabei helfen, Ihre Gedanken und Gefühle zu formulieren und eine Unterstützung zu finden, die genau zu Ihrer Situation passt.


Autorin: Sally Schulze

Sally Schulze ist Diplom-Psychologin, approbierte Psychotherapeutin und zertifizierte BKiD-Kinderwunschberaterin.