In diesem Artikel geht es um folgende Fragen:
- Wie entscheiden Ärztinnen und Ärzte, welche Behandlung oder Untersuchung sie empfehlen?
- Wie kann ich mir sicher sein, dass die Klinik nicht nur Geld an mir verdienen will?
- Was kann ich tun, wenn ich kein Vertrauen mehr zu meiner Ist es ratsam, die Klinik während einer Kinderwunschbehandlung zu wechseln?
Wie entscheiden Ärztinnen und Ärzte, welche Behandlung oder Untersuchung sie empfehlen?
Vor langer Zeit basierten die Entscheidungen und Empfehlungen der Ärzte und Ärztinnen stark auf ihrer persönlichen Erfahrung. Das betraf sowohl die Erfahrung eine Erkrankung zu erkennen, als auch diese zu behandeln. Natürlich spielt Berufserfahrung immer noch eine Rolle bei medizinischen Behandlungen. Da aber das Patientenwohl unabhängig vom Arzt oder der Ärztin das Wichtigste ist, wurden medizinische Richtlinien und Leitlinien entwickelt. Diese legen die Auswahl an sinnvollen Behandlungen und Untersuchungen fest und stellen sicher, dass diese wirksam sind. Sowohl Richtlinien als auch Leitlinien werden von ärztlichen Berufsverbänden und wissenschaftlichen Fachgesellschaften verfasst, in denen Fachpersonen sich zusammentun, um den wissenschaftlichen Kenntnisstand festzuhalten. Richtlinien sind für Ärztinnen und Ärzte bindend, d. h. sie müssen sich an diese Vorgaben halten. Für Kinderwunschbehandlungen gibt Richtlinien und Leitlinien. Leitlinien enthalten lediglich Empfehlungen, wie Erkrankungen erkannt und wirksam behandelt werden können. Die Inhalte von Leitlinien sind allerdings nicht bindend: Ärztinnen und Ärzte dürfen davon abweichen, wenn es für ihren Patienten oder ihre Patientin sinnvoll ist. Natürlich sollte eine Abweichung trotzdem begründet werden können. Am Beginn einer Behandlung orientierten sich Ärztinnen und Ärzte an Leitlinien und weichen nur im Verlauf davon ab, wenn sie konkrete Anhaltspunkte für den jeweiligen Patienten oder die Patientin sehen, dass genau das sinnvoll ist.
Wie kann ich mir sicher sein, dass die Klinik nicht nur Geld an mir verdienen will?
Jeder möchte sich bei seiner Kinderwunschklinik gut aufgehoben wissen. Deswegen sind alle Ärztinnen und Ärzte im Kinderwunschbereich grundsätzlich darin ausgebildet, nach den Leitlinien zu behandeln. Wird beispielsweise in einer bestimmten Situation eine weiterführende Untersuchung von den Ärzten abgelehnt oder empfohlen, basiert das nicht allein auf ihrer persönlichen ärztlichen Einschätzung, sondern berücksichtigt auch die Empfehlungen der Leitlinien.
Allerdings unterscheiden sich Kinderwunschkliniken je nach Trägerschaft darin, welche zusätzlichen Leistungen sie anbieten. Zum Beispiel orientieren universitäre Kinderwunschkliniken ihre Behandlungen oft stark an wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweisen oder an Forschungsinteressen. Sie führen daher meistens nur die Behandlungen durch, die in den Leitlinien empfohlen werden. Private bzw. inhabergeführte Kinderwunschkliniken bieten dagegen häufiger zusätzliche Behandlungen an, die nicht in den Leitlinien stehen. Das soll aber nicht bedeuten, dass diese Kinderwunschkliniken unwissenschaftlich arbeiten. Private Kliniken haben grundsätzlich etwas mehr Freiheiten in Bezug auf ihr Behandlungsangebot. Daher werden in privaten Kliniken auch Behandlungen angeboten, zu denen es oft erste Wirksamkeitsnachweise gibt, die aber (noch) nicht in die Leitlinien aufgenommen wurden.
Wenn eine angebotene Behandlungsmethode nicht in der Leitlinie empfohlen wird, bedeutet das nicht, dass sie niemandem hilft. Es bedeutet erstmal, dass die Datenbasis (noch) nicht stark genug ist, damit eine generelle Empfehlung für alle Patientinnen und Patienten ausgesprochen werden kann. Manchmal ist auch nicht bekannt, in welchen Situationen oder Konstellationen eine Behandlung wirksam ist. Wirksamkeitsstudien durchzuführen ist ziemlich aufwändig. Es kann deshalb eine Weile dauern, bis umfassende Studienergebnisse zu neuen Behandlungsmethoden vorliegen und diese in die Leitlinien aufgenommen werden können.
Ich möchte das kurz an einem Beispiel verdeutlichen: Nehmen wir an, ein Verfahren hilft nur einer von 100 Personen. Je nachdem, was diese Behandlung kostet, kann eine inhabergeführte Klinik entscheiden, dass es vertretbar ist, diese Behandlung als Selbstzahlerleistung anzubieten. Hier kann auch die persönliche Erfahrung der Ärzte und Ärztinnen mit der Behandlungsform eine Rolle spielen, z. B. wenn sie mit dieser Behandlung schon Patientinnen und Patienten helfen konnten, obwohl bisher nicht genügend Studien vorliegen, die die Wirksamkeit allgemein bestätigen. Deswegen wird gerade bei den Selbstzahlerleistungen die Entscheidung für oder gegen diese Behandlung auch stark den Patientinnen und Patienten überlassen. Die Patientinnen und Patienten können dann entscheiden, ob sie die Behandlung bezahlen möchten, obwohl es dazu noch keine Leitlinien gibt. Als Patientin oder Patient sind das keine einfachen Entscheidungen. Man muss selbst entscheiden, wie viele Informationen man dazu einholt, bevor man sich entscheidet und leider ist es meistens nicht möglich jede Unsicherheit auszuräumen. Das heißt am Ende ist es meistens so, dass die Entscheidung dafür oder dagegen getroffen wird, ohne dass man 100%ig sicher sein kann, dass es „Das Richtige“ ist.
Ist es ratsam, die Klinik während einer Kinderwunschbehandlung zu wechseln?
Es gibt Situationen, in denen Sie vielleicht das Gefühl haben, dass ein Klinikwechsel helfen könnte. Zum Beispiel wenn Ihre Klinik bestimmte diagnostische oder Behandlungsmethoden nicht anbietet. Wenn Sie sich für einen Klinikwechsel in einer laufenden Kinderwunschbehandlung entscheiden, dann sollten Sie möglichst eine lückenlose Dokumentation der bisher durchgeführten Behandlungen vorliegen haben. Das geht zum Beispiel, indem Sie sich eine Kopie Ihrer Krankenakte aushändigen lassen. Falls Sie über diesen Schritt nachdenken, fragen Sie am besten nach, ob für Ausdrucke oder Kopien Kosten anfallen.
Warum ist die Dokumentation bei einem Klinikwechsel überhaupt wichtig? Auch Ihr neuer Arzt oder Ihre neue Ärztin werden die Kinderwunschbehandlung an den Empfehlungen der Leitlinie ausrichten. Das bedeutet, dass zum Beispiel Behandlungen in einer bestimmten Reihenfolge durchgeführt werden. Wenn Sie nun die Ergebnisse bereits erfolgter Behandlungsschritte haben, dann kann Ihr neuer Arzt oder Ihre neue Ärztin nahtlos dort ansetzen.
Andernfalls könnte es sein, dass Behandlungsschritte empfohlen und durchgeführt werden, für die bei Ihnen bereits ein Ergebnis vorliegt. Behandlungen doppelt durchzuführen oder zu wiederholen ist nicht immer sinnvoll. Gerade wenn die Behandlungen gemäß den Leitlinien durchgeführt wurden, besteht aus ärztlicher Sicht kein Zweifel daran, ob sie wirksam sind oder ordnungsgemäß durchgeführt wurden.
Manche Männer oder Frauen möchten Behandlungen auch wiederholen, weil sie erwarten oder sich wünschen, dass beim zweiten Durchlauf vielleicht ein anderes Ergebnis herauskommt. Bei bestimmten Behandlungs- oder Untersuchungsschritten kann dies auch tatsächlich sein, zum Beispiel beim Spermiogramm. Aber es gibt auch viele Behandlungsschritte, bei denen eine Wiederholung zu keinem bedeutend anderem Ergebnis führt. Zum Beispiel schwankt der Wert des Anti-Müller-Hormons (AMH) kaum. Ein leicht anderer AMH-Wert würde für die weitere Kinderwunschbehandlung keinen Unterschied machen.
Trotzdem kann es sein, dass Sie das Gefühl haben, ein Klinikwechsel könnte helfen. Meistens entsteht dieses Gefühl, wenn Sie mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin eine einschneidende emotionale Situation erlebt haben. Zum Beispiel, wenn Sie sich durch eine Äußerung sehr verletzt gefühlt haben.
Was kann ich tun, wenn ich kein Vertrauen mehr zu meiner Kinderwunschklinik habe?
Auch in anderen Lebenssituationen sind einschneidende emotionale Situationen häufig der Grund, warum unser Vertrauensverhältnis zu einer Person Risse bekommt. Manchmal lässt sich Vertrauen auch wieder aufbauen. Eine gute erste Möglichkeit wäre, offen mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin über die verletzenden Äußerungen zu sprechen.
Vertrauen wieder aufzubauen benötigt allerdings Zeit und Kraft. Vielleicht haben Sie das Gefühl, dass Sie den Mut oder die Zeit dafür nicht aufbringen können. Vielleicht fühlen Sie sich zu stark verletzt, um darüber mit dem Arzt oder der Ärztin zu sprechen. Dann kann für Sie ein Klinikwechsel eine Alternative sein. Denn Vertrauen ist etwas, dass man schenkt. Sie können entscheiden, welcher Einrichtung Sie Ihre Kinderwunschbehandlung gerne anvertrauen möchten.
Häufig spielt bei dem Gedanken an einen Klinikwechsels aber auch die versteckte Hoffnung auf bessere Erfolgsaussichten mit. Für die Erfolgsaussichten der Kinderwunschbehandlung spielt ein Klinikwechsel allerdings kaum eine Rolle. Wenn die Klinik selbst starken Einfluss auf den Erfolg der Behandlung hätte, dann könnten Erfolgsraten ein wichtiger Aspekt bei der Klinikwahl sein.
In Deutschland haben sich die Kinderwunschkliniken jedoch darauf verständigt, keine Erfolgszahlen pro einzelnem Zentrum zu veröffentlichen. Diese wären auch irreführend, weil der Erfolg einer Kinderwunschbehandlung sehr stark von individuellen Faktoren (z. B. Alter der Frau oder medizinische Diagnose) beeinflusst wird und weniger von den behandelnden Ärztinnen und Ärzten. Genau diese Einsicht liegt den medizinischen Leitlinien zu Grunde. Die Leitlinienerstellung fußt auf der Annahme, dass eine wirksame Behandlungsmethode kaum von dem jeweiligen Behandler beeinflusst wird. Es ist eben die Methode, die wirkt. Deswegen muss sich eine Behandlungsmethode auch in einer Vielzahl an Studien und damit unabhängig vom jeweiligen Behandler als wirksam erweisen, um in einer Leitlinie empfohlen zu werden.
Darüber hinaus spielen bei den Erfolgsraten einer Kinderwunschklinik auch externe Faktoren eine Rolle, zum Beispiel die Lage der Klinik. Im städtischen Bereich haben Patientinnen und Patienten von Kinderwunschkliniken tendenziell ein höheres Durchschnittsalter. Das wiederum beeinflusst auch die Erfolgszahlen einer Klinik, weil die Ausgangssituation für eine Kinderwunschbehandlung dadurch schwieriger ist. Von daher wäre es irreführend, wenn sich Patientinnen und Patienten bei der Auswahl der Klinik an deren Erfolgsraten orientieren bzw. die Kliniken damit werben würden.
Hier finden Sie nochmal in Kurzform die Antworten auf die Leitfragen des Artikels:
- Kinderwunschbehandlungen werden anhand medizinischer Leitlinien durchgeführt. Die Leitlinien sprechen Empfehlungen zu wirksamen Behandlungsmethoden und Untersuchungsschritten aus. Die Empfehlungen sind zwar nicht bindend, aber trotzdem sollte ein Arzt oder eine Ärztin eventuelle Abweichungen begründen können.
- Damit eine Behandlungsmethode in Leitlinien empfohlen werden kann, sind viele Studien mit Wirksamkeitsnachweis erforderlich. Wenn Ihnen eine Behandlungsmethode außerhalb der Leitlinienempfehlungen angeboten wird, bedeutet das nicht, dass sie unwirksam ist. Hier können die persönlichen Erfahrungen des Arztes oder der Ärztin mit dieser Methode der Grund sein, diese anzubieten.
- Da sich alle Kinderwunschkliniken an den Leitlinien orientieren, wird die Behandlung und deren Erfolg durch einen Klinikwechsel kaum beeinflusst. Wenn das Vertrauensverhältnis zu Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin nicht wieder aufgebaut werden kann, kann ein Klinikwechsel eine Alternative sein. In diesem Fall sollten Sie auf eine möglichst lückenlose Dokumentation der bisher erfolgten Behandlungen achten.
- Bei fehlendem Vertrauen kann ein klärendes Gespräch mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin helfen. Entscheiden Sie für sich, ob Sie die Zeit und den Mut dafür aufbringen wollen und können. Auf die Erfolgsaussichten Ihrer Kinderwunschbehandlung hat ein Klinikwechsel keine direkten Auswirkungen.
Den meisten Menschen in einer Kinderwunschbehandlung ist das Vertrauensverhältnis zur Kinderwunschklinik wichtig. Eine Behandlung muss nicht um jeden Preis in der Klinik fortgeführt werden, in der sie begonnen wurde. Wenn Sie einen Wechsel überlegen, denken Sie auch an weitere Auswirkungen auf Ihre Gesamtsituation. Zum Beispiel, ob Sie längere Fahrtzeiten auf sich nehmen wollen. In solchen Fällen können Sie abwägen, ob Sie Ihre Zeit lieber in den Klinikwechsel investieren möchten oder zum Beispiel zunächst in ein klärendes Gespräch mit ihrem bisherigen Behandler.
Autorin: Sally Schulze
Sally Schulze ist Diplom-Psychologin, approbierte Psychotherapeutin und zertifizierte BKiD-Kinderwunschberaterin.