Wie verlieren wir uns in der Kinderwunschzeit nicht als Paar?

Die Kinderwunschbehandlung bringt vieles mit sich, was sich auf eine Partnerschaft belastend auswirken kann. Manche Paare zweifeln deshalb, ob die Kinderwunschbehandlung ihre Partnerschaft langfristig stärken oder schädigen kann. Um die Antwort schonmal vorwegzunehmen: Es kommt darauf an, was Sie daraus machen! Worauf es genau ankommt und was Sie als Paar dafür tun können, erkläre ich in diesem Artikel.

  • Welche Belastungen kommen in der Kinderwunschzeit auf uns zu?
  • Schweißt uns die Kinderwunschzeit zusammen oder ist das nur ein Märchen?
  • Wie können wir es schaffen, die Belastung gestärkt zu meistern?

Welche Belastungen kommen in der Kinderwunschzeit auf uns zu?

Wie ein Paar die Kinderwunschzeit erlebt, hängt stark davon ab, wie beide damit umgehen.  Psychologisch betrachtet stellen alle größeren Veränderungen im Leben, an die man sich erst mal anpassen muss, eine Herausforderung dar. Wenn wir mit Herausforderungen konfrontiert sind, haben wir je nach Persönlichkeitstyp und Herkunftsfamilie unterschiedliche Bewältigungsstrategien, mit denen wir auf schwierige Situationen reagieren. Beispielsweise werden manche Menschen bei Herausforderungen eher nachdenklich und andere eher aktiv. Manche wollen in schwierigen Zeiten eher raus gehen und sich ablenken; andere sehnen sich eher nach Rückzug und Ruhe.

Die Schwierigkeit in einer Partnerschaft kann dadurch entstehen, dass die Personen in der Partnerschaft unterschiedliche Strategien bevorzugen. Oft hat man sich gerade aufgrund dieser Unterschiedlichkeit sogar ineinander verliebt. Wenn Sie zum Beispiel selbst eher schüchtern sind, finden Sie vielleicht eine selbstsichere Persönlichkeit besonders attraktiv, weil Sie einander perfekt ergänzen. Die Bewältigungsstrategien sind innerhalb einer Partnerschaft deshalb oft komplementär, das heißt, sie ergänzen sich gegenseitig. Wenn beide Personen in einer Partnerschaft gleichzeitig sehr belastet sind, kann diese Unterschiedlichkeit aber auch zu Konflikten führen. Während der eine gerne viel über das Problem reden möchte, braucht der andere vielleicht gerade Ruhe zum Nachdenken. An dieser Stelle kann die Kinderwunschzeit eine Belastung für die Partnerschaft darstellen, da sie das Paar gemeinsam betrifft und beide vielleicht erst mal von ihren eigenen Gefühlen und Bedürfnissen eingenommen sind.

Mann und Frau ohne Kinder bei einer Bergwanderung
© iStock/AscentXmedia

Manchmal besteht das Problem aber auch darin, dass eine Person stärker von der Situation belastet ist als die andere. Viele Behandlungen finden am Körper der Frau statt und der Partner kann oft nicht dabei sein. Wenn man bei den Behandlungsschritten nicht hautnah dabei ist, um sie zu beobachten, kann es manchmal schwieriger sein, mitzufühlen.

Unterschiede in der Belastung können aber auch von Vorteil sein, beispielsweise, wenn derjenige in der Partnerschaft, der weniger belastet ist, den anderen aufmuntern kann. Dazu passt das Bild von zwei Wanderern. Wenn zwei Wanderer mit schweren Rucksäcken einen Berg hinaufgehen, ist es wichtig, dass der langsamere von beiden voran geht. Denn wenn der schnellere vorangeht, muss der langsamere hinterherhecheln und hat wahrscheinlich Probleme, das Tempo zu halten. Außerdem hat der schnellere Wanderer den langsameren Wanderer dann nicht so gut im Blick, wenn dieser mal Hilfe braucht. Deshalb ist es hilfreich, dass sich die weniger belastete Person auf der gemeinsamen Reise immer wieder an der stärker belasteten Person orientiert. Hierbei kann es hilfreich sein, sich in der Partnerschaft regelmäßig auszutauschen: Wie geht es uns gerade? Womit haben wir gerade Schwierigkeiten und wie können wir einen gemeinsamen Weg finden?

Dennoch ist es wichtig, anzuerkennen, dass auch das Bedürfnis nach Allein-Sein eine gleichwertige Bewältigungsstrategie darstellt. Sowohl Austausch als auch Rückzug sind legitime Wege, mit einer Belastung umzugehen. Wenn beide Verhaltensweisen in einer Partnerschaft aufeinandertreffen, kann es helfen, gemeinsam zu überlegen, wie beide Bedürfnisse berücksichtigt werden können. Vielleicht finden Sie in Ihrer Partnerschaft kreative Kombinationen, in denen sowohl Rückzug als auch Austausch ihren Platz finden, oder Sie schaffen es sogar, mal Ihre Rollen zu tauschen.

Zwei Getreideähren formen ein Herz
© iStock/Trkn

Schweißt uns die Kinderwunschzeit zusammen oder ist das nur ein Märchen?

Wenn Sie in einer Zeit mit vielen belastenden Situationen mehr miteinander streiten, heißt das erst mal nicht, dass Ihre Beziehung einen Mangel hat. Deshalb ist die Überlegung, es mit dem Kinderwunsch lieber ganz zu lassen, definitiv nicht die richtige Schlussfolgerung. Wenn Sie sich in der Kinderwunschzeit mehr streiten, weil Sie beide unter Stress stehen, ist das normal und kein Anzeichen dafür, dass die Beziehung nicht bereit für ein Kind ist.

Obwohl häufiger Streit erst mal zu Distanz führen kann, bringen uns die Kompromisse, die daraus folgen, oft näher zusammen. Kompromisse zeigen nämlich, dass man einander vertrauen kann und sich entgegenkommt. Es kann auch eine bereichernde Erfahrung sein, gemeinsam als Paar ein Hindernis zu bewältigen, indem man aufeinander zugeht. Viele Paare berichten, dass sie durch den Kinderwunschstress sowas wie ein “Persönlichkeitswachstum” erleben. Die gemeinsame Bewältigung des unerfüllten Kinderwunschs kann sehr wichtig für eine Partnerschaft sein. Auch Paare, die kinderlos bleiben, sagen hinterher oftmals, dass es zwar eine schwere Zeit war, sie diese aber als wichtige Lebenserfahrung miteinander teilen und meistern konnten.

Wie schaffen wir es, mit der Belastung umzugehen?

Beziehungen haben mehrere Säulen, auf denen sie stehen. Eine wichtige Säule besteht aus den Dingen, die man gerne zusammen macht. Diese Säule hat erst mal überhaupt nichts mit Ihren Problemen zu tun, sondern damit, welche gemeinsamen Aktivitäten Ihnen Freude machen. Wenn Sie beispielsweise vor der Kinderwunschbehandlung gerne gemeinsam Weine verkostet haben oder zusammen Leistungssport getrieben haben, kann es sein, dass Sie diese Aktivitäten während der Kinderwunschzeit nicht gut fortführen können. Dann wird es jetzt Zeit für ein neues gemeinsames Hobby! Es ist wichtig, gemeinsame Inseln im Alltag zu schaffen, auf denen Sie zusammen etwas erleben, das Ihnen Spaß macht und Sie in einen gemeinsamen Flow bringt. Diese geteilten Flow-Erfahrungen lassen Sie Kraft tanken und versorgen Sie mit neuer Energie!

Obwohl auch die gemeinsame Konfliktbewältigung zu einer stabilen Partnerschaft gehört, ist es wichtig, diese nicht zur einzigen Säule der Beziehung zu erklären. Positive Erfahrungen sind eine ebenso starke Stütze für Sie und machen einen wichtigen Teil Ihrer Partnerschaft aus. Wenn Sie also gerade vor einem gefühlt unlösbaren Problem stehen, können Sie sich als Zwischenlösung auch mal dazu entschließen, das Thema über das Wochenende ruhen zu lassen und trotzdem den Ausflug zu machen, den Sie geplant hatten. Auch wenn Sie sich gerade nicht einig darin sind, wie Sie Ihr Problem angehen wollen – zum Beispiel, weil Sie beide unterschiedliche Bewältigungsstrategien bevorzugen - können Sie durch eine schöne gemeinsame Aktivität trotzdem etwas in die Stabilität der Beziehung investieren. Natürlich funktioniert diese Strategie nicht über einen endlosen Zeitraum hinweg. Über Ihre Probleme sprechen zu können, ist auf lange Sicht trotzdem wichtig für die Partnerschaft. Aber gerade in Situationen, die sich festgefahren und blockiert anfühlen, tut eine Pause manchmal richtig gut. Mit der gemeinsamen Erfahrung einer Auszeit kommen vielleicht auch neue Ideen, wie Sie sich Ihrer Herausforderung zukünftig nähern könnten.

Eine andere Strategie kann darin bestehen, sich vorzustellen, wie der andere die aktuelle Situation gerade erlebt. In der Kinderwunschbehandlung stehen meist die Frauen, die schwanger werden sollen, im Mittelpunkt der Behandlung. Sie müssen bei der Mehrheit der Termine dabei sein, viele Medikamente nehmen und sind dabei oft auch allein unterwegs. Eventuell kann dabei der Gedanke auftauchen, dass der Partner/die Partnerin, die nicht dabei ist, die eigene Situation gerade nicht wirklich versteht. Möglicherweise stimmt dieser Gedanke sogar, weil die Erfahrung der Kinderwunschbehandlung tatsächlich schwer nachvollziehbar ist, wenn man bei der medizinischen Behandlung nicht vor Ort dabei sein kann. Deshalb ist es wichtig, konkret nachzufragen, wie der andere die Situation gerade sieht und was ihn gerade beschäftigt. Manchmal können das ganz andere Dinge sein, als man erwartet. Die unterschiedlichen Perspektiven auf die gemeinsame Situation können auch gut sein, um sich gegenseitig mit neuen Gedanken weiterzuhelfen!

Zuletzt ist neben der Kommunikation innerhalb der Partnerschaft auch der Kontakt zu Personen außerhalb der Partnerschaft hilfreich. Es kann zum Beispiel spannend sein, bei engen Freunden und Freundinnen nachzufragen, ob sie Ideen haben, was einem als Paar weiterhelfen könnte. Wenn Bekannte diese Tipps ungefragt äußern, empfindet man das oft als Einmischung. Doch wenn Sie gezielt danach gefragt haben, können die Tipps nahestehender Menschen oft wirklich gut sein - schließlich kennen Ihre Freunde und Freundinnen Sie schon lange und haben vielleicht eigene Beziehungserfahrungen gesammelt, die Ihnen nun weiterhelfen können. Für so ein Gespräch ist es auch nicht unbedingt nötig, offenzulegen, dass es um Probleme in der Kinderwunschzeit geht. Sie können Ihre Frage auch ganz allgemein halten, zum Beispiel: “Wenn Ihr uns so beobachtet, was denkt ihr, könnte uns als Paar mal guttun?”

Ein Holzpfad führt durch Dünen
© iStock/PPAMPicture
  • In Anbetracht einer Herausforderung kann es sein, dass Sie in Ihrer Partnerschaft unterschiedliche Bewältigungsstrategien bevorzugen. Wichtig ist, dass sowohl Bedürfnisse nach Kommunikation als auch nach Rückzug ihren Platz haben.
  • Während der Kinderwunschzeit kann es vermehrt zu Streit kommen, weil beide Partner davon betroffen sind. Manchmal kommt es auch vor, dass einer von beiden mehr belastet ist als der andere. Regelmäßiger Austausch kann helfen, sich nicht aus den Augen zu verlieren und ein gemeinsames Tempo zu finden.
  • Die Kinderwunschzeit ist nicht automatisch ein Risiko für Ihre Partnerschaft, sondern kann auch eine Möglichkeit sein, gemeinsam Kompromisse zu finden und eine intensive Lebenserfahrung miteinander zu teilen und zu bewältigen.
  • Um die Herausforderung der Kinderwunschzeit gemeinsam zu meistern, können Sie sich auf die tragenden Säulen Ihrer Beziehung besinnen: Was ist neben dem Kinderwunsch in Ihrer Beziehung der gemeinsame Nenner? Denken Sie auch daran, was Ihnen normalerweise richtig guttut. Das können gemeinsame Hobbies oder Freunde sein oder Momente, in denen Sie mal wieder so richtig zusammen im Flow sind.

In diesem Artikel habe ich versucht, die verschiedenen Gedanken zu beschreiben, die Sie als Paar in der Kinderwunschzeit vielleicht beschäftigen. Viele Paare empfinden schon eine große Erleichterung, wenn sie hören, dass vermehrter Streit in der Kinderwunschzeit kein böses Omen ist, sondern eine normale Begleiterscheinung der emotionalen Belastung. Um die Kinderwunschreise gemeinsam zu meistern ist es wichtig, dass Sie einander Raum geben und trotzdem in Verbindung bleiben – vielleicht denken Sie in Zukunft ja nochmal an die beiden Wanderer, die ich Ihnen beschrieben habe, wenn sich der Berg gerade besonders steil anfühlt.

Autorin: Sally Schulze

Sally Schulze ist Diplom-Psychologin, approbierte Psychotherapeutin und zertifizierte BKiD-Kinderwunschberaterin.